Als der Reichtum aus der Erde kam
Luxemburg ist das wohlhabendste Land Europas. Welche Kennziffern man auch heranziehen mag – selbst die Schweiz wird nochmals um zwanzig Prozent übertroffen. Um zu erahnen, woher das Geld kommt, genügt die Fahrt vom Flughafen in die Hauptstadt. Der breite Boulevard ist gesäumt von Neubauten für Banken und Finanzdienstleister.
Dazwischen zeigen sich aber auch Nationalbibliothek und Philharmonie. Luxemburg weiß seinen Wohlstand mit Kulturdingen zu veredeln. Natürlich nimmt man am Schaulauf der jährlich wechselnden Kulturhauptstädte Europas teil, und da die Stadt Luxemburg bereits 1995 und 2007 auftreten durfte, wurde das turnusmäßige Vorschlagsrecht des Landes diesmal mit der zweitgrößten Stadt ganz im Süden an der Grenze zu Frankreich ausgefüllt.
Esch-sur-Alzette, und das macht die Wahl reizvoll, steht für eine andere Zeitschicht – und für die erste Welle von Wohlstand, die das Großherzogtum, auf der Landkarte zwischen Belgien, Deutschland und Frankreich situiert, erfasste. Der Reichtum kam aus der Erde, aus den Eisenerzminen, die im Zuge der Industriellen Revolution in die beschaulichen Hügel getrieben wurden, um in den bald alles Grün einebnenden Hüttenwerken und Stahlschmieden zu jenen Produkten verarbeitet zu werden, auf denen die materielle Welt bis heute nun einmal ruht.
Transformation hin zur „Wissensgesellschaft“
In der Gegend von Esch wuchsen immer größere Werksanlagen, vor und nach dem Ersten Weltkrieg und nochmals nach dem Zweiten, in jener Epoche, die auf Französisch die „Trentes Glorieuses“ genannt wird, die drei Jahrzehnte von Wachstum und Zuversicht. Sie gingen mit der Ölkrise Mitte der siebziger Jahre zu Ende. Hochöfen waren bald passé, wurden im günstigen Falle nach Asien verkauft und im ungünstigen abgerissen. Letzteres ist in aller visuellen Härte in der 8-Kanal-Projektion zu erleben, die in der dunklen Halle des „Massenoire“ über den Köpfen schwebt, während darunter die Ausstellung „Remixing Industrial Pasts“ in sechs Kapiteln das Leben und Arbeiten im Stahlzeitalter in Objekten darstellt.
Diese Halle namens „Massenoire“ ist Teil von Belval, einem Industriekomplex, von dem besonders eindrucksvolle Teile wie etwa zwei Hochöfen erhalten sind, dazu einige große Hallen; der Rest aber beseitigt, begradigt, gesäubert, so dass auf den freigezogenen Flächen blitzblanke Neubauten entstehen konnten. Büros und Apartmenthäuser sind das, dazu eine Universität, die die in Esch wie überall beschworene Transformation hin zur „Wissensgesellschaft“ beglaubigen soll. In einem lang gestreckten Altbau hat zu zwei Dritteln die Unibibliothek Platz gefunden; das restliche, höhlendunkle Drittel beherbergt im Kulturstadtprogramm eine Ausstellung zu elektronischer Kunst – ein ideales Ambiente für die Lichteffekte.
Das also ist Esch, eine der drei diesjährigen Kulturhauptstädte Europas. Natürlich weiß man in Luxemburg, dass ein bloßes Feuerwerk einmaliger Veranstaltungen (das es selbstverständlich auch gibt ) nicht mehr den gestiegenen Ansprüchen an Nachhaltigkeit genügt, und so werden die Langfristprojekte wie eben die Umwandlung der Industriebrachen rings um den eher beschaulichen Ortskern von Esch als beispielhaft herausgestellt.
Auf den Status als Unesco-Weltkulturerbe wie etwa beim Wegbereiter der Industriedenkmale, dem saarländischen Völklingen mit seinem bereits 1994 nobilitierten Eisenwerk, hatte man es in Esch nie abgesehen, sondern sich für eine eher dekorative Lösung entschieden. Besagte Hochöfen mit ihrem urtümlichen Röhrengewirr finden sich nun von sachlich-funktionaler Gegenwartsarchitektur dicht umgeben, dank unterirdisch gelegter Durchgangsstraße oben ganz auf Fußgänger zugeschnitten und über den nahen Bahnhof bestens angebunden.
Das Zeitalter von Staub und Dreck ist vorüber
Das Zeitalter von Staub und Dreck ist vorüber, und wer wollte dem nachtrauern? Die heutige Hochglanzfassade der Landeshauptstadt vermittelt jedem Besucher eine bestimmte Geschichte – doch das Land hat durchaus eine andere. Im Süden leben die Nachfahren derjenigen, deren Alltag unter rotbraunem Eisenstaub früher als Zeichen von „Widerstandskraft“ schöngeredet wurde. Migranten anfangs aus Belgien oder Deutschland, dann aus Italien und schließlich aus Portugal zogen in Wellen hierher, und viele schlugen Wurzeln.
An vielen Stellen werden Erinnerungsstücke an die Zeiten harter und ebenso stolzer Muskelarbeit aufbewahrt, und im Süden des Landes widmen sich mehrere Bergbaumuseen der Aufbereitung dieser lange Zeit verdrängten Vergangenheit. Die Ausstellung im „Massenoire“ tut das temporär, dafür mit avancierten Mitteln.
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Die Nutzung jener riesigen Werks- und Lagerhallen, die im Unterschied zu den komplizierten Stahlschmieden erst einmal stehen bleiben durften, ist noch längst nicht geklärt. So viele „Kreativwerkstätten“ und „Kunstfabriken“ kann es gar nicht geben, um diese Flächen auch nur annähernd zu füllen. Zukunftsträchtig ist eher die Bewahrung der oberirdischen Zeugnisse jener Minenanlagen, die nun wieder von grüner Natur eingefriedet sind wie zur Zeit der ersten Aufschließung, etwa das nach einer lange Zeit dominierenden Bergbaugesellschaft benannte „Cockerillmuseum“ im Naturschutzgebiet Ellergronn nahe Esch.
Dunkle Tunnelmünder lassen erahnen, wie die Bergleute Tag für Tag im Finsteren verschwanden, eingefahren in kargen Wägelchen hinter niedrig geduckten Elektrolokomotiven, während ihre Kleider in der Waschkaue an Ketten unter der Decke hingen und Mahnplakate vor den Gefahren warnten, die unter Tage überall lauerten. Im „Minett Park Fond-de-Gras“ zeugen eine uralte Gastwirtschaft von karger Freizeit nach harten Arbeitstagen und ein vollständig erhaltener Kaufmannsladen vom Einzug industriell gefertigter Markenartikel – und eine Schütte für „Polenta“ von den Essgewohnheiten der Zuwanderer. Minett, das ist die Bezeichnung für die luxemburgische Bergbauregion, nach dem von Eisenerz rötlich gefärbtem Boden.
Die Hochöfen werden ins neue Stadtleben einbezogen
„Es gibt nirgendwo in Europa eine Situation, wo das industrielle Erbe so direkt einbezogen ist wie in Belval“, wird das Städtebauprojekt von Belval angepriesen, rings um die wie abstrakte Skulpturen in den Himmel ragenden Hochöfen. Das ist nicht ganz falsch; denn anders als bei sorgfältig bewahrten Industriedenkmalen wie der Völklinger Hütte oder der ebenfalls von der Unesco gelisteten Essener „Zeche Zollverein“ sind die Hochofengiganten von Belval als etwas rauere Nachbarn ins neue Stadtleben einbezogen, um der Ansammlung von Gegenwartsbauten eine besondere Identität zu verleihen.
Eine weitere, derzeit noch trostlose Industriebrache von Esch ist in Planung zum neuen Stadtquartier, Schifflange mit 62 Hektar Fläche. Den Wettbewerb zur Umgestaltung hat das dänische Büro COBE gewonnen, das Vergleichbares am Kopenhagener Nordhavn bereits fertiggestellt hat. „Von der Stahlfabrik zur Stadtfabrik“ lautet das Motto, das die Entwicklungsgesellschaft ausgibt, mit einem Zeithorizont für die Realisierung von mindestens 20 Jahren. In ihrem altertümlichen Büro türmt sich liebenswerter Nippes, etwa mit Fabrikmotiven bemalte Porzellanteller und Modelle von Grubenlokomotiven, Kleinplastiken von entschlossen den Presslufthammer schwingenden Bergarbeitern und gerahmte Jubiläumsbriefmarken von 1937.
In solchen Memorabilia vergegenständlichen sich die Hoffnungen, die Freuden, die Kämpfe und nicht zuletzt der Stolz von Generationen. Dass Esch-sur-Alzette wie die ganze Bergbauregion mit der eigenen Geschichte sorgsam umgeht, ist die nachhaltigste Botschaft, die die diesjährige Kulturhauptstadt aussenden kann.