Ton, Steine, Scherben, Tränen: Zum Tod des Gitarristen R. P. S. Lanrue

Das bekannteste Gründungsmitglied der Berliner Band Ton, Steine, Scherben ist seit fast 30 Jahren tot. Und hat es doch geschafft, dass vor zwei Jahren ein Ort nach ihm benannt wurde: der Rio-Reiser-Platz in Kreuzberg. Letzten Sonntag ist im Alter von 74 Jahren mit R.P.S. Lanrue erneut ein Musiker aus der Urbesetzung der unvergessenen und einflussreichen Politrockband gestorben. Man darf allerdings bezweifeln, dass sich Berlin auch eine Lanrue-Straße gönnen wird.

Denn im Vergleich zum charismatischen und schillernden Rio Reiser, dem Inbegriff des Protestsängers in Deutschland, war und ist der Gitarrist Lanrue natürlich vergleichsweise unbekannt. Rio Reiser, der nach der vorläufigen Auflösung der Scherben 1985 auch noch eine erfolgreiche Solokarriere hinlegte, überstrahlte mit seiner Persona einfach immer alle in der Band.

Dabei bildete Lanrue gemeinsam mit Rio Reiser von Anfang an deren eigentlichen Kern. Die beiden kannten sich schließlich schon, bevor sie 1967 nach Westberlin zogen. Als Jugendliche lernten sie sich in dem hessischen Kaff Nieder-Roden kennen, in das Lanrue gerade erst mit seiner Familie gezogen war. Bis dahin lebte er, der mit bürgerlichem Namen eigentlich Ralph Peter Steitz hieß, in Grenoble, wo er als Sohn eines deutschen Vaters und einer französischen Mutter geboren wurde. In einem Interview mit der „taz“ aus dem letzten Jahr, in dem er davon erzählt, dass er eigentlich Profifußballer werden wollte, berichtet er davon, dass er direkt nach einem Fußballtraining Rio Reiser kennengelernt habe. Die beiden wurden Freunde und scharten dann in Westberlin zwei weitere Musiker um sich. In der Band waren die beiden auch als Songwriter ein Team. Bei ein paar der bekanntesten Songs der Scherben, etwa „Solidarität“ oder „Der Kampf geht weiter“, teilen sie sich die Credits.

Das Vermächtnis der Ton, Steine, Scherben und damit auch von Lanrue ist immens. Gleich ihre erste Single war „Macht kaputt, was euch kaputt macht“. Daraus wurde ein Slogan, der heute noch auf Demos zu hören ist, und das nicht nur in Kreuzberg. Auch eine Band wie Tocotronic hat von den Scherben gelernt, wie wirkmächtig man mit Sprache im Zusammenhang mit Popmusik umgehen kann.

Fans von Distelmeyer bis Rösinger

Überhaupt verneigen oder beziehen sich immer noch zig deutschsprachige Bands und Musiker, die sich auch nur im entferntesten als sozialkritisch verstehen, auf die Scherben. Die lange Liste reicht von Christiane Rösinger bis hin zu Jochen Distelmeyer.

Auch die Idee, sich unabhängig von einer Musikindustrie zu machen, die nur eigene Interessen im Sinn hat, geht auf die ganz im Geiste ihrer Zeit kapitalismuskritischen Scherben zurück. Als eine der ersten Bands in Deutschland betrieben sie bereits kurz nach ihrer Gründung zu Beginn der Siebziger ihr eigenes Label, David Volksmund Produktion.

David Volksmund war nichts anderes als ein weiteres Pseudonym von Ralph Peter Steitz. Auch als sich die Band Mitte der Achtziger auflöste, kümmerte dieser sich noch ein paar Jahre weiter um die bandeigene Plattenfirma.

Bei Freunden, die gemeinsam eine Band gründen, kommt es oft genug vor, dass sie irgendwann keine Freunde mehr sind. Aber Lanrue und Rio Reiser scheinen fortwährend eng miteinander verbunden gewesen zu sein. Auch auf den meisten Soloplatten von Reiser spielte Lanrue die Gitarre und er begleitete seinen alten Jugendfreund eine Zeit lang bei dessen Touren.

Rückzugsort Nordfriesland

In den letzten Jahrzehnten lebte er eine Zeit lang in Portugal und auf dem Landgut Fresenhagen in Nordfriesland, das die Scherben gemeinsam Mitte der Siebziger als Rückzugsort erworben hatten. Hier befand sich zunächst auch das Grab von Rio Reiser, bevor dieser 2011 auf den Schöneberger St. Matthäus-Kirchhof umgebettet wurde. Bei ein paar Versuchen, die Scherben wiederzubeleben, die sich inzwischen freilich heillos zerstritten hatten, war Lanrue noch mit dabei. Zuletzt wohnte er wieder in Berlin, wo er nun gestorben ist, er war an Krebs erkrankt.