Jan Ullrich und seine Doping-Beichte: Wenn niemand mehr mit dir zu tun haben will
Jan Ullrich hat gedopt. Was alle schon lange wussten, hat er nun endlich auch selbst so deutlich formuliert. Im Rahmen der Vorstellung der Dokumentation „Jan Ullrich – Der Gejagte“, die ab Montag bei Amazon Prime verfügbar sein wird, sprach der ehemalige Radstar am Mittwoch in München das aus, was niemanden mehr überraschte.
Und doch schlägt das Geständnis bald 20 Jahre nach seinem Karriereende hohe Wellen. „Es ist total gut, es auszusprechen“, sagte Ullrich.
Noch besser wäre es freilich gewesen, wenn der heute 49-Jährige früher reinen Tisch gemacht hätte. Schon um seiner selbst willen. Das sieht auch Roger Kluge so: „Mir tut es leid für ihn, dass er so viele Jahre verloren hat, und erst jetzt an diesen Punkt gekommen ist. Hätte er das vor 15 Jahren gemacht, hätte er sich einiges ersparen können. Jetzt beginnt er quasi ein neues Leben.“
Der 36 Jahre alte Profi, auf der Bahn Medaillengewinner bei Olympia und 2016 Etappensieger beim Giro d’Italia auf der Straße, kann verstehen, dass sich Ullrich erleichtert fühlt. Aber: „Er wird damit keine neuen Fans gewinnen. Wer damals Fan war, ist es wahrscheinlich immer noch.“
Nach seinem unfreiwilligen Aus als Radprofi ist Ullrich von einem Tief ins andere gerutscht: private Probleme, Alkoholexzesse und Ärger mit der Polizei. Der große Held von einst wurde nur noch bemitleidet. „Ich war auf dem gleichen Weg wie Marco Pantani: fast tot“, hat er von einigen Jahren erzählt.
Inzwischen geht es ihm besser, Jan Ullrich hat auch wieder Pläne für die Zukunft. Es scheint so, als würde ihm der Umgang mit seiner eigenen Vergangenheit keine Angst mehr machen. „Das war damals eine andere Zeit“, sagt er heute über den Radsport in den 1990er und 2000er Jahren. Lange Zeit hatte Ullrich seine Rolle in der großen, öffentlichen Doping-Ära immer nur mit den Worten kommentiert: „Ich habe niemanden betrogen.“
Im Radsport gab es ein „System“, so beschrieb es Ullrich jetzt. Alle hätten gedopt, „für mich war das damals eine Art Chancengleichheit“. Auch deshalb sagt er noch heute: „In meinem Herzen bin ich Tour-de-France-Sieger.“ Der ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt kommentierte diese Art der Verteidigung schon vor einiger Zeit mit den Worten: „Am Ende ist es Doping – und wenn viele Leute dopen, macht es das Doping nicht besser.“
Radrennfahrer Kluge sieht das Ganze etwas ambivalenter: „Es bleibt ein fader Beigeschmack, klar, aber er hat eine ganze Nation zum Radsport gebracht, unter anderem auch mich. Wäre er nicht so erfolgreich gewesen, wäre ich wahrscheinlich kein Profi geworden.“
Der größte Verlierer der üblen Machenschaften war letztlich der Sport selbst. Und das hat die Generation um Ullrich und Armstrong mitzuverantworten, auch wenn es danach zunächst in Teilen sogar noch schlimmer wurde. Erst seit einem guten Jahrzehnt hat es ein Umdenken gegeben, allerdings eines, das den Fahrern von so manchem Beobachter nicht unbedingt abgenommen wird.
Doping ist auch heute noch ein Thema im Radsport
Die aktuelle Elite, insbesondere in Deutschland, sieht sich deshalb zu Unrecht am Pranger: „Wir haben uns nichts zuschulden kommen lassen, und trotzdem müssen wir uns für Dinge erklären, die in der Vergangenheit passiert sind“, beklagte sich Maximilian Schachmann einst über die ständigen Nachfragen in puncto Doping. Der Frust über die einseitige Wahrnehmung in der Heimat ist nachvollziehbar, er ändert aber nichts daran, dass der Zweifel auch heute ständiger Teil des Pelotons ist.
Jonas Vingegaard und Tadej Pogacar, die die letzten vier Siege bei der Tour de France unter sich ausmachten, gehen offensiv mit dem Thema Doping um. „Ich nehme nichts, was ich nicht auch meiner Tochter geben würde“, sagte der Däne Vingegaard nach seinem überlegenen Erfolg bei der diesjährigen Frankreich-Rundfahrt. Und seine Frau bot sogar an: „Wir würden gern, dass die Blutproben 50 Jahre aufbewahrt werden, denn sie wären dann immer noch sauber.“
Wie immer, wenn es um Betrug geht, sind die Täter ohnehin schneller als alle Aufklärer. Vor einem Jahr gab der Weltverbandspräsident David Lappartient zu Protokoll: „Ich würde sagen, dass der Radsport heute für Anti-Doping steht.“
Richtig ist: Es wird deutlich mehr kontrolliert als früher, es werden auch immer wieder Fahrer überführt. Doch das weltweite Kontrollsystem ist nicht einheitlich. Was vor oder nach den Rennen passiert, lässt sich längst nicht so gut überprüfen wie das Geschehen während einer Rund- oder Eintagesfahrt.
Fakt ist aber: Die ganz großen Dopingskandale gibt es derzeit im Radsport nicht. Der Weltverband UCI weiß, was auf dem Spiel steht, wenn sich die Dinge aus der Ära Armstrong-Ullrich wiederholen: „Glaubwürdigkeit kann in fünf Minuten verloren gehen. Und dann dauert es zwanzig Jahre, sie wiederaufzubauen“, sagte Lappartient wohlwissend.
Bei großen Rennen ist Jan Ullrich heutzutage unerwünscht
Unter seiner Regie wird eine klare Abgrenzungspolitik gegenüber den Sündern der Vergangenheit gefahren. Armstrong ist bei großen Rennen ebenso wenig erwünscht wie Ullrich. Auch das beschäftigte und beschäftigt den Deutschen.
„Vielleicht kann man das irgendwann ad acta legen, dass ich auch mal wieder im Radsport irgendetwas machen kann. Warum nicht?“, äußerte er am Mittwoch und bewarb sich für weitere Aufgaben mit dem Satz: „Ich habe so viel Erfahrung und ich liebe den Sport nach wie vor. Das ist meine Leidenschaft.“
Beim Bund Deutscher Radfahrer (BDR) hält man sich zur Causa Jan Ullrich bedeckt und verweist auf frühere Aussagen: „Rudolf Scharping (BDR-Präsident, d. Red.) hat schon vor Jahren gesagt, dass er sich zum Thema Jan Ullrich nicht mehr äußern wird“, teilte eine Sprecherin mit. Immerhin lässt der Verband Ullrich seit einiger Zeit wieder an Jedermann-Rennen teilnehmen. Wer will, kann das als Indiz für eine vorsichtige Annäherung interpretieren.
Ich hoffe, wenn er in den Radsport zurückfindet, dass er dann akzeptiert und nicht ausgebuht wird.
Roger Kluge über Jan Ullrichs Zukunft im Radsport
Roger Kluge findet, dass Ullrich eine zweite Chance durchaus verdient hat, sieht allerdings auch Probleme: „Ich hoffe, wenn er in den Radsport zurückfindet, dass er dann akzeptiert und nicht ausgebuht wird.“
Fakt ist, dass sich die deutsche Öffentlichkeit deutlich schwerer damit tut, einen gefallenen Helden wie Jan Ullrich zu rehabilitieren. Was auch daran liegt, dass Deutschland anders als Belgien, die Niederlande oder Frankreich eben keine traditionelle Radsportnation ist, trotz einer glorreichen DDR-Historie.
Vor der Ullrich-Ära war die Tour de France zwar präsent, aber die Aufmerksamkeit war selbst zu Zeiten von Dietrich Thurau nicht vergleichbar mit der rund um den von der öffentlich-rechtlichen ARD gehypten Telekom-Express in den 1990er Jahren.
„Ich habe mich schuldig gemacht, ich fühle mich auch schuldig“, hat Ullrich nun erklärt. Ob diese Beichte ausreicht, um im Radsport noch einmal durchzustarten, darf bezweifelt werden. Denn dazu müsste die heutige Fahrergeneration dafür auch offen sein. „Ich kenne Jan Ullrich persönlich nicht sehr gut“, sagte Ralph Denk, Teammanager des aktuell besten deutschen Rennstalls Bora hansgrohe. Auch deshalb wolle er sich dazu nicht weiter äußern, aber: „Was ich sagen kann, ist, dass er für uns kein Thema war und ist.“
Eine Rückkehr von Jan Ullrich – in welcher Rolle auch immer – wäre zudem wohl das falsche Signal für eine Sportart, die immer noch darum kämpft, die dunklen Geister der Vergangenheit endgültig loszuwerden.