Gina Lückenkemper und Niklas Kaul holen EM-Gold
Der Olympiapark in München ist in diesen Tagen randvoll mit Menschen. Am Dienstag war das auch das Olympiastadion. All jene, die gekommen waren, bekamen das volle sportliche Seelenprogramm geboten: Freude, Enttäuschung, kleine Schockmomente und viel Spannung. Am Ende war es vor allem für die deutschen Besucherinnen und Besucher ein mitreißender, aber auch ein außerordentlich befriedigender Abend bei den Europameisterschaften.
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In der Leichtathletik holte Zehnkämpfer Niklas Kaul die Goldmedaille; die Diskuswerferinnen Kristin Pudenz (67,87 Meter) und Claudine Vita (65,20) gewannen beim Sieg von der Kroatin Sandra Perkovic (67,95) Silber respektive Bronze. Zuvor hatte es der Geher Christopher Linke über 35 Kilometer auf den zweiten Platz geschafft.
Und als es ganz spät wurde und alle schon beseelt waren, spurtete Gina Lückenkemper über 100 Meter in 10,99 Sekunden zu einer weiteren Goldmedaille für den Deutschen Leichtathletik-Verband. Ebenfalls mit 10,99 Sekunden landete die Schweizer Hallenweltmeisterin Mujinga Kambundji auf Rang zwei. Dritte wurde die Britin Neita Daryll, die nur eine Hundertstelsekunde langsamer war.
“Ich bin euch so unfassbar dankbar”, rief Lückenkemper den rund 40.000 Fans im Olympiastadion zu. Die 25-Jährige hatte als Siegerin kaum jemand auf der Rechnung. Hinzu kam, dass sie leicht angeschlagen war. Am linken Oberschenkel verspürte sie Probleme, der Finallauf stand sogar auf der Kippe. Lückenkemper biss auf die Zähne – was sich als gute Entscheidung erweisen sollte. Durch ein tolles Finish setzte sie sich um einen Wimpernschlag durch.
Die Wettbewerbe in der bayrischen Landeshauptstadt hatten schon viele tolle Momente aus deutscher Sicht, die Sprints von Emma Hinze im Bahnradsport etwa, oder den Schlussspurt von Richard Ringer beim Marathon.
Am Dienstag aber toppten Kaul und Lückenkemper dies noch einmal. Auf den letzten Metern des abschließenden 1500-Meter-Laufes beförderten Niklas Kaul gefühlt die Zuschauer in 4:10,04 Minuten, seiner persönlichen Bestzeit, ins Ziel und so zur Goldmedaille.
Schon wenige Stunden zuvor war der Lärm groß, als der Speer von Kaul sich erst bei einer Weite von 76,05 Metern in den Rasen des Olympiastadions bohrte. Kaul streckte die Arme aus und setzte schon zu einer kleinen Ehrenrunde an, ehe er merkte, dass noch nicht alles getan war. Aber eben schon viel. Dieser Wurf war die Basis für den Sieg.
Dabei hatte der Tag für die deutschen Zehnkämpfer – speziell für Arthur Abele – extrem nervenaufreibend begonnen. Abele war zunächst wegen eines vermeintlichen Fehlstarts über 110 Meter Hürden disqualifiziert worden.
Doch der deutsche Verband legte Protest ein. Und dieser zog sich. Weshalb ein emotional angeschlagener Abele beim anschließenden Diskuswerfen eher mit seinem unglücklichen Karriereende haderte, als fokussiert einen Wettkampf zu bestreiten.
Als die Kampfrichter dann doch zu dem Ergebnis kamen, dass Abele korrekt gestartet war, nahm der Zehnkampf leicht bizarre Züge an. Nun musste der Europameister von 2018 erneut über die 110 Meter Hürden starten – allerdings alleine. In 14,50 Sekunden rannte er unter tosendem Applaus ins Ziel.
„Emotional die komplette Zerstörung“
„Es war brutal“, sagte Abele. „Es war emotional die komplette Zerstörung.“ Er habe nur noch einen Sicherheitswurf beim Diskus herausbringen können. Der 36-Jährige war in München angetreten, um seine 20 Jahre lange Karriere als Leistungssportler zu beenden. Am Ende sei er einfach nur happy gewesen, weitermachen zu können.
Nicht so glücklich über das Theater um Abele dürfte Niklas Kaul gewesen sein. Der Weltmeister von 2019 hatte einen sehr guten ersten Tag im Zehnkampf absolviert. Doch am Dienstag ging es zunächst nicht so geschmeidig weiter.
Zehnkämpfer sind sensible Athleten. Sie kommunizieren viel miteinander, und wenn einer – zumal ein Teamkollege – wegen eines Fehlstarts aus dem Wettbewerb zu purzeln droht, arbeitet das in ihnen. Auch in Niklas Kaul. „Beim Hürdenlauf war wenig Angriff dabei“, sagte er zu seiner Zeit über die 110 Meter Hürden (14,45 Sekunden).
Ein weiteres emotionales Tal folgte im darauffolgenden Diskuswurf (41,80 Meter). Er habe einfach kein Gefühl für das Wurfgerät gehabt, berichtete er. Im anschließenden Stabhochsprung übersprang er 4,90 Meter. Nicht schlecht, aber für Kauls Ansprüche („fünf Meter wären schön gewesen“) und wohl auch zu wenig, um den führenden Schweizer Simon Ehammer noch abzufangen. So dachte man.
Denn spätestens danach war klar, dass der 24-Jährige in den abschließenden Disziplinen Speerwurf und 1500 Meter ein kleines Wunder vollbringen müsste, um Europameister zu werden. Im Speerwurf begann er den Abendwettkampf mit starken 70,98 Metern, seine Saisonbestleistung.
Die Zuschauer jubelten laut, Kaul blieb gefasst. Er wusste, für den ganz großen Coup würde die Weite nicht reichen. Aber schon wenig später begann das kleine sportliche Wunder. Und kurz darauf durch Gina Lückenkemper noch eines.