MeToo auf dem Grünen Hügel

Mit dem Tod des wegen Vergewaltigung angeklagten Dieter Wedel ist das MeToo-Thema in dieser Woche wieder kurz auf die öffentliche Agenda gerückt. Wie war das noch, als mehrere Schauspielerinnen Wedel in einem Bericht des „Zeit Magazin“ 2018 massive Übergriffe vorwarfen?

MeToo war damit in Deutschland angekommen, nach den Enthüllungen um den inzwischen rechtskräftig verurteilten US- Filmmogul Harvey Weinstein.

Plötzlich wurde klar: Sexuellen und strukturellen Machtmissbrauch, ebenso die dazugehörigen Schweigekartelle gibt es in der hiesigen Kultur- und Medienwelt genauso wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Das vermeintlich Gute, Wahre, Schöne – beschmutzt.

Seitdem hat sich offenbar weniger getan, als viele dachten. Kaum sind die Nachrufe auf Wedel erschienen, schreckt der „Nordbayerische Kurier“ die Musikwelt mit einer Recherche über MeToo-Fälle bei den Bayreuther Festspielen auf, drei Tage vor der Saisoneröffnung nach zwei Pandemie-gebeutelten Jahren auf dem Grünen Hügel mit einem neuen „Tristan“, in Anwesenheit von Ex-Kanzlerin Angela Merkel. Als ob Bayreuth wegen der jüngsten Corona-bedingten Umbesetzungen nicht schon genug Probleme hätte.

Sexuelle Übergriffe in Bayreuth, dem Gralshüter der Klassik, der Hochkultur schlechthin? Der Bericht hat es in sich, gehört doch Festivalchefin Katharina Wagner selbst zu den Betroffenen. Ein „bekannter Mitwirkender“ der Festspiele soll ihr an die Brust gefasst und ihr unmissverständlich bedeutet haben, dass er mit ihr ins Bett wolle.

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„Das entspricht der Wahrheit“, wird die 44-jährige Chefin zitiert. Den Namen, der dem „Kurier“ bekannt ist, wollte sie nicht nennen – weil sie sich zu wehren wisse. Was sie jedoch bestätigt: Auch von anderen gab es ihr gegenüber sexistische Sprüche.

Dem „Nordbayerischen Kurier“ sind auch die Namen weiterer Mitarbeiterinnen des 800-Personen-Festspielunternehmens bekannt, Frauen unterhalb der Chefetage, die nach eigener Auskunft sexuell belästigt wurden. Es geht um körperliche Übergriffe, eindeutige Sexwünsche und Body-Bashing, um „Anmach-Sprüche, umarmen, einfach die Hände von Frauen ergreifen, kaum Distanz halten, häufige SMS mit ,Einladungen’ von Männern“, heißt es in dem Artikel.

Auf „Kurier“- Nachfrage meldete Katharina Wagner sich sofort und zeigte sich entsetzt ob der ihr nicht bekannten Vorfälle. Sie werde „gnadenlos“ reagieren, sagte sie. Die Festspiele kündigten nun an, den Vorfällen nachzugehen. Betroffene Mitarbeiter:innen sind aufgefordert, sich an die Geschäftsführung zu wenden. Es würden keinerlei Beleidigungen oder tätliche Übergriffe geduldet, sagte Festspielsprecher Hubertus Herrmann.

Am Freitagnachmittag meldete sich auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) zu Wort und erklärteg, dass man die Vorwürfe und Berichte über Sexismusvorwürfe bei den Bayreuther Festspielen ernst nehmen müsse. „Ich gehe davon aus, dass die Leitung der Bayreuther Festspiele den Vorgängen mit Nachdruck nachgehen und die notwendigen Konsequenzen ziehen wird. Sexuelle Übergriffe, egal ob verbal oder körperlich, sind absolut inakzeptabel und dürfen nicht ungeahndet bleiben.“

Betroffen und entsetzt. Festivalleiterin Katharina Wagner, 44.Foto: dpa/Nicolas Armer

Das MeToo-Thema war im Zuge der jüngeren Krisen, von der Pandemie bis zum Ukraine-Krieg und dem immer dramatischeren Klimawandel, in den Hintergrund geraten. Ja, es wird aufgearbeitet, nicht nur Missbrauchsfälle, sondern auch Autoritätsgehabe. Die anonym erhobenen Musiker-Vorwürfe gegen den Führungsstil von Daniel Barenboim, die Berichte über eine Atmosphäre der Angst in der Staatskapelle schreckten Berlin auf.

Wenigstens zahlt sich die Thematisierung mangelnder Gleichstellung in den Führungsetagen der Kultureinrichtungen oder auch bei der Regie von TV-Hits wie dem “Tatort” allmählich aus. Frauen stehen mehr und mehr im Rampenlicht, in jüngster Zeit gewannen etliche Regisseurinnen Bären, Löwen und Palmen auf den großen Filmfestivals, und endlich auch Oscars Auch dirigieren mehr Frauen denn je, an großen Häusern, bei namhaften Orchestern.

Christian Thielemann war von 2015 bis 2020 Musikdirektor der Bayreuther Festspiele.Foto: dpa/ Monika Skolimowska

Dennoch, es klafft eine riesige Diskrepanz etwa zwischen dem Versprechen der Ampel-Regieurng und der feministischen Kulturstaatsministerin Claudia Roth, den Gender-Pay-Gap auch in Kultur und Medien transparent zu machen, und einer Nachricht wie der aus Bayreuth. Was reale, nachhaltige, strukturelle Veränderungen betrifft, ist wohl höchstens ein Anfang gemacht.

Beispiel Siegfried Mauser. Der frühere Rektor der Münchner Musikhochschule wurde 2018 und 2019 rechtskräftig wegen Sexualstraftaten verurteilt, unter anderem wegen sexueller Nötigung der Cembalistin Christine Schornsheim. Es kam nicht zur Urteilsvollstreckung, da er sich in Österreich aufhielt – Mauser besitzt auch die dortige Staatsbürgerschaft. Hierzulande regte sich kaum jemand darüber auf. Erst im Februar trat er seine Haftstrafe in der Justizanstalt Salzburg an.

Ex-Musikdirektor Christian Thielemann soll sich frauenfeindlich geäußert haben

Beispiel Christian Thielemann, bis Ende 2020 Musikdirektor in Bayreuth. Auch gegen ihn werden im „Nordbayerischen Kurier“ anonyme Vorwürfe erhoben, wegen Cholerik und frauenfeindlicher Äußerungen. Er soll sich unter anderem darüber mokiert haben, dass zu viele Frauen im Orchester sitzen: eine statt zwei Kontrabassistinnen, das sei genug.

Thielemann selbst nennt die Vorwürfe „haltlos“, es handele sich höchstens um ein „Missverständnis“, nicht zuletzt deshalb, weil alle im Festspielhaus Maske tragen. Seine Bemerkung zu den Bassistinnen liegt dem „Kurier“ allerdings in Form einer Mail vor.

Nun ist das undiplomatische Verhalten des künstlerisch überragenden Wagner-Dirigenten keine Neuigkeit. 2016 sagte Andris Nelsons sein Dirigat der „Parsifal“-Premiere in Bayreuth kurzfristig ab, weil Thielemann sich zu sehr in seine Probenarbeit eingemischt habe. 2019 wurde Thielemanns Vertrag mit den Salzburger Osterfestspielen beendet, sein Bayreuth-Job wurde nicht verlängert, und auch bei der Sächsischen Staatskapelle wird es keine Vertragsverlängerung über 2024 hinaus geben. Immer wieder ist von Misstönen und Machtkämpfen die Rede.

Als 2021 mit Oksana Lyniv erstmals eine Frau in Bayreuth am Pult stand, sagte Thielemann im „heute-Journal“ des ZDF, er fände das ein gutes Zeichen. Und fügte hinzu, unwidersprochen: „Die Damen, die fähig sind, sollen zeigen, dass sie es können“. So klingt Paternalismus, zur besten Sendezeit.