Erst kam der Ruhm, dann der Spott
Ruhm wird am sichtbarsten, wenn er verblasst. Erst das Abblättern der Fassade erlaubt einen Blick dahinter. Erlaubt zu sehen, wie instabil die Wände waren, die die Fassade gehalten haben. Kaum deutlicher wird das als bei abgelebten Stars. Die vom Alkohol aufgedunsenen Gesichter David Hasselhoffs, Johnny Depps oder Lindsay Lohans sind das Ergebnis einer Aufmerksamkeitsmaschine, die sie erst dem Ruhm und dann dem Spott der Welt ausgesetzt hat.
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Der Fotograf Helmut Newton war kein Spötter. Seit 1956 im Auftrag der „Vogue“ tätig, wurde er in den 1970ern zu einem der gefragtesten Mode- und Werbefotografen. Er lichtete sie ab, die Reichen, die Schönen, die Mächtigen: Madonna, David Bowie, Marlon Brando, Helmut Kohl. Einige seiner Fotografien zeigt die Helmut-Newton-Stiftung nun in der Gruppenausstellung „Hollywood“, zusammen mit Star-Porträts anderer Fotograf*innen und mit Fotoserien über das Leben in Los Angeles.
Newton fotografierte die Taylor gegen Ende ihrer Karriere
Da sehen wir zum Beispiel Elizabeth Taylor, Filmstar des alten Hollywood, in einem Pool. Newton nahm das Foto 1985 für die „Vanity Fair“ auf: zu einer Zeit, als Taylor mehr als ein Jahrzehnt keinen großen Preis für einen Film gewonnen hatte, kaum noch Kassenschlager drehte. Zu alt war sie aus Sicht der (fast nur männlichen) Regisseure und Produzenten; zu alt und zu dick. Zwei Jahre zuvor besuchte sie erstmals die – ihrerseits berühmte – Betty Ford-Entzugsklinik.
Taylors Pose auf dem Foto ist aufrecht. Vermutlich steht sie auf dem Grund des Pools. Die Augen richtet sie selbstbewusst in die Kamera. Das Wasser bedeckt ihren Körper bis zum Brustansatz – ob sie gänzlich nackt ist, bleibt der Spekulation der Betrachter*innen überlassen. Ihr geschminktes Gesicht spiegelt sich im Wasser.
Sie trägt Schmuck, zwei Ohranhänger und eine Kette, darin schwere, schwarze Edelsteine. Und: einen grünen Papagei auf der Hand. Der Papagei schaut ebenfalls in die Kamera, allerdings muss er dafür seinen Kopf seitwärts drehen. Am Beckenrand ein leerer Klappstuhl: „Elizabeth Taylor“ steht auf der Lehne.
Die Dekadenz führt sich selbst ad absurdum
„Hier stimmt einfach nichts, alles ist Illusion“, sagt Matthias Harder, Direktor der Newton-Stiftung. Dekadenz, die sich selbst ad absurdum führt. Das Bild versieht die Wahrnehmung von Taylors verblassendem Ruhm mit einer Ironie, die das System Hollywood selbst in Frage stellt. „Aber Newtons Porträt ist keineswegs herablassend. Es ist großartig komponiert. Der Fotograf befindet sich mit ihr im wahrsten Wortsinn auf Augenhöhe. Womöglich stand er sogar selbst im Pool.“
Ein anderes Foto zeigt Nastassja Kinski. „Unser Weltstar in Hollywood“ titelte der „Stern“ 1979 über sie, für die „Welt“ war sie noch 2011 „Deutschlands großartige Lolita“. Ihre Halbschwester Pola Kinski machte kurz darauf öffentlich, dass ihr Vater Klaus sie über Jahrzehnte vergewaltigt hatte. Nastassja Kinski dagegen spielte in Filmen Roman Polanskis und Wolfgang Petersens die junge Verführerin – eine Figur, mit deren Hilfe Männer sich noch heute sexuelle Gewalt schönreden.
Marlene Dietrich und Nastassja Kinski – beide spielten die Verführerin
Für Newtons Kamera liegt die Schauspielerin nackt vor einem Pool, bekleidet nur mit einer schwarzen Federboa, etwas Netzstoff und schwarzen Stöckelschuhen. Neben ihr, etwa halb so lang: eine Puppe, die aussieht wie Marlene Dietrich. Kinski, Dietrich: „zwei deutsche Schauspielerinnen, die wie viele andere nach Hollywood gegangen sind“, erklärt Harder. „Und das ist Newton ja später auch.“ Zwei Deutsche, die die Verführerin spielten. Scheinbar ist klar, welche von beiden die Puppe ist und welche der Mensch.
Aber dass Nastassja Kinski ebenfalls regungslos daliegt, puppenhaft steif, ja, fast tot: Das irritiert, das beunruhigt. Wieder stimmt hier vor lauter Illusion gar nichts. Als „schöne Leiche“ fasst die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen ein einflussreiches Bildschema der Darstellung von Frauen zusammen. Wieder erfüllt Newton dieses Schema – und stellt es zugleich aus, zerrt es ins Absurde.
Bilder über Bilder sind es also, die in der Ausstellung hängen. Wie diese Bilder so mächtig wurden, machen Star-Fotografien aus den 20er-, 30er- und 40er-Jahren deutlich, die ebenfalls Teil der Schau sind. Filmstudios schufen Stars, gaben ihnen sogar neue Namen. Aus Greta Gustafsson wurde Greta Garbo, aus Lucille Fay LeSueur Joan Crawford.
Homosexualität und Sex zwischen Weißen und Schwarzen waren tabu
Die Studios kontrollierten das Image ihrer Stars rigoros und drohten ihnen mit Kündigung, wenn sie den strengen Moralvorstellungen der US-Filmbranche widersprachen. Auch die Filme selbst unterlagen der Zensur. Die bis 1967 gültige Selbstverpflichtung, der „Hays Code“, verbot es, Homosexualität abzubilden und Sex zwischen Weißen und Schwarzen.
Die Gesichter, die Physiognomien der Schauspieler*innen bildeten die Grundlage dieses Herrschaftssystems. Ihre Gesichter und Körper wurden zu Marken gemacht, die sich verkaufen ließen. Und die die politische Stabilität der Vereinigten Staaten garantieren sollten. Im Filmessay „I am not your N****“, das auf einem Manuskript James Baldwins basiert, heißt es: „Der obligatorische Kuss in der Schlussszene des klassischen amerikanischen Films sprach nicht von Liebe, noch weniger von Sex. Er sprach von Versöhnung.“
Die andere Seite: Amateure, Arme und Wannabes
Die Magie des Show-Business, das amerikanische Versprechen des Ruhms, ist selbst in den Porträts derer präsent, die es nicht geschafft haben, weder auf die Cover der „Vogue“ noch der „Vanity Fair“. Michael Dressels Serie „Los(t) Angeles“ zeigt Amateure, Arme, Wannabes auf den Straßen der Stadt: einen Mann im Batman-Kostüm; einen Pseudo-Jedi-Ritter vor einem Müllsammler vor einem Bentley.
Zerknautsche Gesichter. Der Abfall der Maschine. „Fake it till you make it“, lautet der Rat der Selbstvermarktungs-Gurus. Er enthält das Versprechen auf eine glorreiche Zukunft, auf Erfolg, auf Erlösung. Manche werden nie erlöst.
[Newton Foundation, Museum für Fotografie, Jebensstr. 2 D, bis 20. 11. Di bis So 11 – 19 Uhr, Do bis 20 Uhr]
Auch die fetten Jahre Hollywoods sind heute vorbei. Schon immer war das Filmgeschäft in der Krise, lauerten konkurrierende Medien und neue Lebensweisen. Streaming-Dienste wie Netflix entziehen dem traditionellen Blockbuster-Kino den Boden. Dennoch versteht Harder seine Ausstellung nicht als Abgesang.
„Der Schein, der Glanz Hollywoods ist noch nicht ganz verblasst. Dieses spezielle Licht, diese spezielle Situation in Los Angeles, sie haben immer noch ihren Reiz und eine gewisse Anziehungskraft.“ Die Amerikaner erfinden sich ja immer neu, meint Harder.