Wenn Medaillen plötzlich nicht mehr glänzen
Emma Hinze hat in Tokio eine olympische Silbermedaille gewonnen. Sie selbst hatte zuletzt allerdings den Eindruck, dass ihr Erfolg mit Lea Sophie Friedrich im Teamsprint der Bahnradsportlerinnen in der Öffentlichkeit gar nicht als solcher angesehen wurde. „Es gab viele Artikel, in denen ich Sätze gelesen habe, die einfach die Medaille ein bisschen abgewertet haben, die Enttäuschung ausgedrückt haben im Vergleich zu anderen Medaillen oder Platzierungen“, sagte die 24-Jährige vor dem Start der Weltmeisterschaften in Roubaix an diesem Mittwoch. Dort tritt sie als dreifache Titelverteidigerin an, bei der WM 2020 in Berlin holte sie Gold im Teamsprint, Sprint und Keirin.
Bei Olympia hatten Hinze deshalb viele Experten eine Menge zugetraut – und damit Druck bei der Sportlerin aufgebaut. „Da war alles sehr ernst und verbissen, weil ich das Gefühl hatte, dass die Menschen sehr viel von mir erwarten“, erzählte sie nun. Und philosophierte: „Vielleicht muss man da einmal durch, um zu wissen, dass man das so nicht noch einmal will.“ Hinze ist normalerweise eine Frau, die unvoreingenommen in wichtige Wettkämpfe geht und für die der Spaß an erster Stelle steht.
Doch der ist ihr in Japan abhandengekommen und es hat ein bisschen gedauert, bis sie ihn wiedergefunden hat. Im Training sei ihr das zuletzt gelungen, auch der gemeinsame Urlaub mit anderen Olympiateilnehmern im „Club der Besten“ kürzlich in Südspanien hat geholfen. Die Bahn- Europameisterschaften in der Schweiz ließ sie aus und bereitete sich stattdessen auf die WM vor – auch wenn sie deswegen ihre Form jetzt nur schwer einschätzen kann. „Keine Ahnung, ehrlich gesagt“, meinte sie dazu nur. Und lächelte.
Hinze gibt im Vorfeld grundsätzlich keine Prognosen ab, das hat sie schon immer so gehalten und ist gut damit gefahren. Dass das Interesse an ihrer Person nach den drei WM-Titeln im Vorjahr gewachsen ist, sei ihr natürlich auch aufgefallen, wie sie noch vor Olympia erklärt hatte. Sie gilt als Vorzeigeathletin bei den Bahnradsportlern. Die Rolle als Zugpferd auch anzunehmen, fällt ihr allerdings nicht leicht. Zumal es im Team mit Lea Friedrich oder der erfahrenen Lisa Brennauer auch andere sehr erfolgreiche Fahrerinnen gibt.
Die mangelnde Wertschätzung für ihre olympische Silbermedaille findet Emma Hinze traurig
Dazu ist das Jahr 2021 ein besonders intensives mit vielen Höhepunkten in kurzer Folge: „Wenn Olympia 2020 gewesen wäre, hätten wir uns anders auf die WM vorbereiten können“, sagte Hinze, die lieber vor Tokio mehr Rennen gehabt hätte. Doch wegen der Corona-Pandemie mussten nicht nur die Spiele verschoben werden, sondern es fanden über ein Jahr lang fast keine Wettkämpfe statt. In Japan gab es dann die ersten wirklichen internationalen Vergleichsmöglichkeiten. Auch deshalb siehe Hinze ihre Medaille dort als Erfolg. Dass die Wertschätzung mehr oder weniger ausgeblieben sei und das auch von Kollegen aus dem Radsport, findet sie „nicht fair und auch traurig“ und spricht von einem „blöden Beigeschmack“.
Auf der neuen Bahn in Roubaix, auf der die Deutschen bisher noch nie gefahren sind, ist Hinze naturgemäß Mitfavoritin auf Medaillen. Bundestrainer Detlef Uibel, für den es die letzten großen Meisterschaften im Amt sind, warnte im Vorfeld schon einmal, die drei Titel von 2020 als Maßstab zu nehmen: „Natürlich orientieren wir uns daran. Wenn man so ein Ergebnis wie bei der WM in Berlin eingefahren hat, dann ist das natürlich schwierig so etwas zu wiederholen.“
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Der Teamsprint der Frauen am Mittwoch wird gleich ein Gradmesser, was nicht nur daran liegt, dass Emma Hinze seit Tokio keine Wettkämpfe mehr bestritten hat. Auch hinter der Verfassung von Lea Friedrich steht ein großes Fragezeichen: „Ich war nach der EM eine Woche krank, lag nur im Bett“, berichtete sie und hofft, dass sie sich „einigermaßen“ regenerieren konnte. „Mal gucken, wie es wird“, sagte sie vor dem Auftakt. Anders als noch in Tokio, aber so wie schon zuletzt bei WM 2020, sind im Teamsprint wieder drei Fahrerinnen am Start. Lea Grabosch, die in Berlin mit Friedrich und Hinze Weltmeister wurde, komplettiert das deutsche Trio.
Emma Hinze hofft darauf, dass bei der Bewertung der Ergebnisse alle Faktoren berücksichtigt werden. Was ein Erfolg ist, können Sportler oder Sportlerinnen selbst meist am besten einschätzen. Und im Teamsprint auf der Bahn ist eine Silbermedaille schon zwangsläufig mit einer Niederlage im Finale verbunden, was erklärt, warum in Tokio „Lea und ich im ersten Moment enttäuscht waren“. Dennoch – und das will Hinze vor der WM noch einmal klarstellen – „haben wir uns riesig über Silber gefreut.“ Und letztlich ist es nun einmal so, dass olympische oder andere sportliche Medaillen immer noch gewonnen und nicht verloren werden.