Neuköllner Gesprächsreihe zu Nahost: „Die Leute sollen miteinander ringen, anstatt nur die eigene Weltsicht zu verteidigen“

Die Gesprächsreihe „Zeit zu reden“ soll Menschen wieder zusammenzubringen, die sich voneinander entfremdet haben, insbesondere bei der Diskussion über Israel/Palästina. Gab es einen Schlüsselmoment in der deutschen Debatte, bei dem Sie dachten: „So geht es nicht mehr weiter“?
ARAD: Für mich war das die direkte Reaktion in Deutschland auf den 7. Oktober 2023. Gleich zu Beginn war ich auf vielen palästinasolidarischen Demonstrationen und habe erlebt, wie stark man deshalb angefeindet wird. Ich hatte das Gefühl, dass Stimmen, die sich gegen das, was in Gaza passiert, erheben, nicht gehört werden. Und pauschale Sympathiebekundungen mit dem israelischen Staat finde ich weder als Israeli noch als Jude hilfreich.

HELBERG: Für mich gab es zwei Entwicklungen. In meinem privaten Umfeld habe ich gemerkt, was ich von der einen Seite höre, ist für die andere überhaupt nicht nachvollziehbar. Und immer wieder reden alle aneinander vorbei. Aus Angst vor anderen Meinungen oder Missverständnissen spricht man lieber gar nicht mehr über das Thema – und die Gesellschaft verstummt. Außerdem habe ich als Journalistin früh versucht, Dinge zu versachlichen. Ich wollte Begriffe wie Apartheid, Genozid, Antisemitismus erklären und damit besser besprechbar machen.

Warum ist das wichtig?
HELBERG: Damit die Menschen ermutigt werden, das, was in Gaza passiert, in ihrem Umfeld zu thematisieren, und so wieder miteinander ins Gespräch kommen. Viele finden das Leid vor Ort unerträglich und wissen nicht, wohin mit ihrem Frust, ihrer Wut, ihrer Trauer – auch in der sogenannten „bürgerlichen Mitte“. Wir wollen zeigen, wie man auf menschenrechtlicher Grundlage klar Position beziehen und trotzdem sachlich diskutieren kann.

Warum fällt es vielen Menschen so schwer, insbesondere im Kontext Israel/Palästina, unterschiedliche Positionen auszuhalten?
HELBERG: Jeder hat seine festen Vorstellungen, die Narrative sind über Jahrzehnte etabliert worden: Dabei ist der eine das Opfer, der andere der Täter. Das liegt auch an der Berichterstattung. Außerdem werden Gespräche zu Israel schnell emotional. Da will man private Beziehungen nicht überstrapazieren und vermeidet das Thema lieber.

Wie ging es nach den anfänglichen Überlegungen weiter? Ihre Gesprächsreihe begann im September 2024, fast ein Jahr nach dem Angriff am 7. Oktober.
ARAD: In der Spore habe ich Haig Ghokassian kennengelernt und gemeinsam haben wir überlegt, wie man diese entfremdeten Gruppen wieder zusammenbringen könnte. Und dann haben wir, ebenfalls in der Spore, Kristin getroffen, die genau den gleichen Bedarf sah.

War es schwierig, Gesprächspartner zu finden?
ARAD: Die passenden Panelisten zu finden, ist bis heute nicht einfach. Auch da zeigt sich die angesprochene Entfremdung. Viele palästinensische Menschen haben den Glauben verloren, dass sie noch irgendwas durch eine Debatte verändern können. Sie denken: Die ganze Welt sieht, was im Gazastreifen passiert, was soll da irgendein Panel noch ändern?

Was entgegnen Sie?
ARAD: Dass unsere Hoffnung auch nicht ist, alle zu erreichen. Das wird uns nicht gelingen. Vielmehr wollen wir alle Menschen mit einer liberalen Grundhaltung abholen.

HELBERG: Es geht uns um Menschen, die von sich behaupten, auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen und das Völkerrecht hochzuhalten, und die trotzdem zu unterschiedlichen Positionen kommen, also eine breite Mitte der Gesellschaft. Leute mit radikalen Positionen, die kein Interesse an Dialog und Verständigung haben, sitzen bei uns nicht auf dem Panel.

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