„Geliebte Köchin“ im Kino : Große Gefühlsverwirrung am Herd
Der „Napoleon der Kochkunst“ hat keinen Sinn für kulinarische Diplomatie, nicht einmal, wenn er am Tisch des Prinzen von Eurasien sitzt. Das Urteil über das achtstündige Festmahl, das der Regent dem Gourmet Dodin Bouffant kredenzt, fällt vernichtend aus: „Üppig und gehaltvoll, aber ohne Licht und Klarheit. Keine Logik, keine Luft, keine Linie. Eine Mahlzeit mit Fehlern in der Abfolge von Geschmäckern und Empfindungen.“ Kurz: kulinarische Poesie, die schwer im Magen liegt.
Darum gedenkt Monsieur Dodin, sich mit einem Lehrstück in französischer Landküche für die großzügige Einladung zu revanchieren: Pot au Feu, ein Eintopf mit den besten Zutaten aus dem Garten des Meisters, einfach und geschmacklich perfekt nuanciert. In der Heimat des Prinzen würde man die Spezialität des Hauses natürlich als Affront betrachten. Die Köchin Eugénie, Arbeits- und Lebenspartnerin des Chefs, blickt zu Recht mit Sorge auf das Menü.
Lieber Köchin statt Ehefrau
Auch „Geliebte Köchin“ von Tràn Anh Hùng ist die Veredelung eines Produkts, welches man in Frankreich zuletzt immer perfekter, aber auch zunehmend routinierter beherrschte: ein kulinarisches Starkino, das das gute, vermeintlich einfache Savoir-vivre zelebriert. Und dies beginnt meist in der Küche – hier in der rustikalen Variante mit einem gigantischen Gasherd in der Mitte, auf dem mit edlen Messingtöpfen hantiert wird – und endet gelegentlich abends im Schlafzimmer, dessen Tür die Hausherrin offen lässt, wenn ihr nach einem nächtlichen Besuch ihres Bonvivants ist. Als Ehefrau, das betont Eugénie auch nach zwanzig Jahren des Werbens nachdrücklich, sieht sie sich nicht.
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Tràn Anh Hùngs Verfilmung eines hundert Jahre alten Romans, angesiedelt im Jahr 1884, spielt mit diesen überstrapazierten Vergleichen von Kulinarik und Libido auf bewundernswerte Weise, die nie nahelegen, dass die kulinarischen Verführungskünste des Mannes mit indiskreten Anzüglichkeiten verwechselt werden könnten. Ein Satz wie „Darf ich Ihnen beim Essen zusehen?“ meint genau dies, ohne Hintergedanken. Aber auch der Begriff Food Porn wird der erlesenen Inszenierung von „Geliebte Köchin“ nicht gerecht.
Wenn Benoît Magimel sich nach dem Abschmecken der Gerichte fast unauffällig über die Lippen streicht (typische Handbewegung) und Juliette Binoche erwartungsvoll anblickt, wird zwischen den beiden eine Sinnlichkeit spürbar, die jede körperliche Anziehungskraft übersteigt. Magimel und Binoche spielen diese Vertrautheit zweier Menschen wie einen Paartanz mit verbundenen Augen; die Abläufe sind einstudiert, erst in der Routine entsteht so etwas wie Erotik.
Der Kameramann Benoît Delhomme, der schon vor dreißig Jahren bei Hungs „Der Duft der grünen Papaya“ hinter der Kamera stand, hüllt diese Dynamik, die sich im Wesentlichen auf die Arbeit im Gemüsegarten, die Führung des Tranchiermessers und dem Philosophieren über die „Konstruktion“ eines perfekten Gerichts beschränkt, in ein goldenes Licht, das very instagramable durch die Küchenfenster bricht. Der Fokus liegt nicht auf den Stars. Sie sind lediglich das Medium, durch deren Augen wir die Texturen der Speisen betrachten: die Fluffigkeit des pain, das frisch aus dem Ofen serviert wird; die cremige Konsistenz des Sahneeises, die von die Hitze des Baisers konserviert wird. Kochen ist, das wussten die Franzosen lange vor den Dänen, auch Chemie.
Innere Andacht beim Kochen
Diese Liebe zum kulinarischen Detail, die die Serie „The Bear“ ins Serienzeitalter überführt hat – als Gegenentwurf zu Dekaden von lautmalerischen Kochshows –, ersetzt dann auch eine Dramaturgie im herkömmlichen Sinne. Selbst das Dinner des eurasischen Prinzen findet antiklimaktisch nur als Off-Erzählung statt. „Geliebte Köchin“ ist gewissermaßen ein Film der inneren Andacht: Die Handgriffe, das Klappern der Töpfe, das Köcheln der Suppe, das Ausweiden der Seebrassen bilden eine minimalistische ASMR-Komposition aus wohlig-sanften Geräuschen.
Es geht in „Geliebte Köchin“ allerdings auch schon um ein Vermächtnis. Dodin und Eugénie nehmen sich der zehnjährigen Pauline (Bonnie Chagneau-Ravoire) an, die über einen ausgezeichneten Geschmackssinn verfügt. Beim Probieren eines norwegischen Omelettes wären ihr fast die Tränen gekommen, erzählt sie einmal. Große Gefühlsverwirrungen am Herd.
Dodin und seine Gourmetfreunde sorgen sich um die Zukunft der französischen Cuisine, die gerade als Wohlstandaccessoire entdeckt wird. Gerade wechselte der Meisterkoch Auguste Escoffier in die Küche eines Pariser Nobelrestaurants, Dodin heißt diese Entwicklung gut. Kulinarik brauche Regeln, aber keine Bräuche, lautet sein Credo. Und möglicherweise verkörpert Pauline bereits die übernächste Generation.
Bei allem sinnlichen Schwelgen in den Vorzügen einer brutal-regionalen Wohlfühlküche, in der dem Gemüse mit leichten Stromstößen beim Wachsen und Gedeihen nachgeholfen wird, fällt dieser Arthouse-Produktion natürlich keine Gegenposition zu solch einem privilegiert-bürgerlichen Lebensstil ein. (Auch Frederick Wiseman feiert in seinem aktuellen Dokumentarfilm „Menus Plaisirs“ die Tradition und das Handwerk.)
Das Pathos der guten Küche und der Liebe, die durch den Magen geht – bis zum, so viel Drama muss immerhin erlaubt sein, bitteren Ende –, ist in „Geliebte Köchin“ absolut gesetzt. Klassengegensätze werden am Herd von Monsieur Dodin nicht überwunden, selbst die örtlichen Bauern zählen zum erweiterten Kreis der Genussfreunde. Dafür, dass der Rückzug in die Einfachheit seinen Preis hat, hat der Film noch keine Begriffe.