Dirigent Christoph Eschenbach: Fast ein Finale
Christoph Eschenbach ist tiefenentspannt. „Nein“, sagt er, fast verwundert über die Frage, „die Japan-Tournee hat mich überhaupt nicht angestrengt. Obwohl wir jeden Tag ein Konzert hatten.“ Auf dem Programm standen allen vier Brahms-Sinfonien, Schwergewichte des romantischen Repertoires, die Auftritte fanden in Tokio und Umgebung statt. Der 83-jährige Maestro, so scheint es, kennt keine Ermüdungserscheinungen. „Das Musizieren gibt mir sehr viel Kraft“, sagt er lächelnd „Auch mental.“ Zudem habe er glücklicherweise keinerlei gesundheitlich Probleme. „Darüber bin ich sehr froh.“
Am 17. und 18. Juni wird er den Taktstock zum letzten Programm heben, das er als Chefdirigent mit dem Konzerthausorchesters erarbeitet. Aber ein Finale soll es nicht werden. „Am 8. Juli haben wir noch einen Aufritt bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern. Außerdem habe ich mit dem Orchestervorstand und der Intendanz vereinbart, dass ich jedes Jahr für ein paar Wochen wiederkommen werde.“
Er ist hier noch nicht fertig
Dass beim Abschiedsprogramm zwei unvollendete Werke erklingen – Mozarts Requiem und Schuberts h-Moll-Sinfonie – will Christoph Eschenbach darum auch nicht als Menetekel gedeutet wissen, sondern als ein „Ich bin hier noch nicht fertig“. Und in der Tat ist er ja schon kurz nach seinem Amtsantritt 2019 in der Arbeit mit den Musikerinnen und Musikern brutal ausgebremst worden. Durch die Pandemie nämlich.
Den inhaltlichen Bogen, den er in seiner zunächst auf drei Jahre angelegten Amtszeit spannen wollte, konnte er zwangsläufig nicht wie geplant realisieren. Vieles fiel aus, anderes musste verschoben werden – doch selbst, als Eschenbach seinen Berliner Job noch um eine Spielzeit verlängerte, blieben noch Wünsche offen. Die er nun künftig als Gast realisieren wird: „Darum gibt es nicht das Gefühl einer Zäsur.“
Das Konzerthausorchester hat schon Erfahrung mit solchen musikalischen Freundschaften: Auch mit Eschenbachs Vorgänger Ivan Fischer, der bis zum Sommer 2018 Chefdirigent am Gendarmenmarkt war, hält es weiterhin engen Kontakt.
Schule des Hörens durch Corona
„Das Orchester und ich sind sehr zusammengewachsen sind“, betont Eschenbach Weil die Musikerinnen und Musiker seine Überzeugung teilen, dass es beim Musizieren in erster Linie darum geht, einander ganz genau zuzuhören. „Dadurch erst entsteht die Klangbalance – wenn auch der 3. Posaunist ganz hinten noch Kontakt hält zur 1. Geige ganz vorne.“
Das einzig Gute an Corona, fügt er hinzu, sei genau diese Sensibilisierung gewesen: „Aufgrund der Verordnungen durften sich die Musiker nicht wie gewohnt zu zweit ein Pult teilen, sondern jetzt musste einen eigenen Notenständer haben. Dadurch wurden die Abstände untereinander extrem vergrößert, was die Koordination der Stimmen kompliziert machte, aber eine gute Schule des Hörens war.“ Die positiven Auswirkungen sind auf einer CD mit Werken Carl Maria von Webers zu hören, die Eschenbach und das Orchester 2021 aufgenommen haben: Die Musik vibriert hier förmlich vor Verve und Intensität.
Konkurrenzdenken liegt ihm fern
So offen Christoph Eschenbach auch nach 60 Karrierejahren noch für neue Werke ist, so wenig interessiert ihn das Konkurrenzdenken innerhalb der hauptstädtischen Klassikszene. „Kirill Petrenkos soll mit den Philharmonikern das machen, was er vorhat“, sagt, er, „wir machen, was unserer Philosophie entspricht.“ Für ihn zähle einzig, sich auf das eigene Orchester zu fokussieren, so gut wie möglich mit ihm zusammenarbeiten. Dabei findet er wichtig, dass der Chefdirigent kein Spezialist ist, sondern alle Stile und musikgeschichtlichen Epochen abdeckt.
Darüber, wie sich die Konzertkarten dann an den Mann und die Frau bringen lassen, möchte er sich nicht den Kopf zerbrechen. „Das Konzerthaus in der Stadt zu positionieren, ist die Aufgabe des Intendanten“, beton der Maestro „Da will ich auch gar nicht wissen, wie er es macht.“
Von Paris aus, wo Christoph Eschenbach seit langem lebt, will er auch künftig viel unterwegs sein in Sachen Musik. Unter anderem plant er, einen Bruckner-Zyklus auf Audio und Video herauszubringen, mit verschiedenen Orchestern. Ein Limit an Auftritten pro Jahr setzt er sich nicht: „Ich weiß, wenn ich in der Planungsphase bin, wann es zu viel wird.“
Künftig will er sogar wieder mehr Klavier spielen. „Ich hatte mir einen Finger gebrochen. Es dauerte zwei Jahre, bis er geheilt war, weil ich – zurecht, wie sich herausstellte – nicht wollte, dass operiert wird“, erzählt Eschenbach. Jetzt fange er wieder an zu üben, „wie ein Klavierschüler“, kokettiert der Virtuose. „Die Pianistenkarriere kann wieder aufblühen. Mal sehen.“